Face Music - Altgläubige | |
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P & C December 1998 - last update 03-2016 |
- Die Kirchenreform 1667 erklärte die russisch-orthodoxische Kirche die Altgläubigen, welche die Kirchenreform ablehnten, zu Ketzern. Verfolgte Altgläubige flüchteten auch in das Gebiet der Don-Kosaken und gründeten dort in den 70-er und 80-er Jahren einige Klausen, hauptsächlich dabei am Fluss Medwediza. Ihre Propaganda erfasste bald einen grossen Teil der dort lebenden Kosakengemeinschaften. Es entstanden Pläne eines Aufstandes für den alten Glauben, und man knüpfte Beziehungen zu den Jaik-Kosaken im Ural. 1688 machte aber Ataman Frol Minajew mit Zarentreuen Kosaken und mit Hilfe an den Don gesandter Truppen aus Moskau diesen Plänen ein Ende. Die Altgläubigen wurden vertrieben. Viele wurden in den Sibirischen Raum verbannt. Ein Teil versuchte sich unter dem Schutz des tatarischen Khans auf der Krim neu anzusiedeln: Ein Teil übersiedelte ins Hoheitsgebiet des polnisch-litauischen Königreichs (Weissrussland, die Zentralukraine und Karpaten). Einige versuchten ins Kuban-Gebiet zu gelangen, wurden jedoch unterwegs vom südkaukasischen Heer der Tscherkessen aufgerieben. Weitere fanden am Terek Fluss Zuflucht (Nordkaukasus). In der Folge dieser Wirren verloren sie das Recht, die lokale Geistlichkeit selbst zu wählen. Das geistliche Leben in ihren Gemeinschaften unterstand nicht mehr direkt dem Patriarchen, sondern einem Bischof. Zar Peters Kirchenreformen konnten unter dem sogenannten Sanften Zaren Alexei I. (1645-1676) anknüpfen. Der Patriarch Nikon (1605-1681) hatte versucht, die Lithurgie von eingedrungenen Widersprüchen zu reinigen und auf die Riten der byzantinischen Kirche zurückzugreifen, was auf heftigen Widerstand vieler Altgläubiger "Raskolniks" gestossen war. So waren denn die Aufgaben, die sich Peter I. "der Grosse" stellte, nicht willkürlich gewählt, sie waren vielmehr geschichtlich bedingt und in der Entwicklung vorgezeichnet seit der Abschüttelung des Tatarenjoches durch die Russen und seit derem Eintritt in die Geschichte Europas als Grossmacht. Ungewöhnlich war allerdings die eiserne Folgerichtigkeit und die Unbedingtheit, mit der Peter I. "der Grosse" seine Ziele verfolgte. - Umbruch in Russland unter dem Zar Peter I., dem Grossen Begeisterte europäische Freunde aus der Nemézkaja Sloboda, dem Moskauer Viertel, gaben dem Zaren Peter I. schon sehr früh, nämlich als er erst zwanzig Jahre alt war, den Beinamen "der Grosse". Als sie den jungen Monarchen so enthusiastisch auf einen Sockel hoben, so geschah es zum Teil, weil sie, die von der russischen Gesellschaft als Ketzer ferngehalten wurden, in ihm, der frei und häufig mit ihnen verkehrte, einen der ihren sahen; zum Teil aber, weil sie den Lerneifer bewunderten, mit dem der Zar in die europäische Kultur, Wissenschaft und Technik einzudringen versuchte. So hoch aber Peter von seinen Anhängern gepriesen wurde, so heftig verdammten ihn seine Feinde, die Vertreter des alten, griechisch-orthodoxen Russlands. Sie sahen in ihm den Antichristen, der die geheiligten Bräuche der Kirche abschaffte, die Ehrfurcht vor den Geistlichen ins Lächerliche zog, den zersetzenden Einflüssen des Westens Tür und Tor öffnete und an Stelle der Religion weltlichen Bestrebungen Vorschub leistete. Auch die Nachwelt hat sich in der Beurteilung Peters stets in zwei Parteien geteilt, wovon die eine in ihm den eigentlichen Schöpfer einer russischen Kultur sieht, die andere gerade umgekehrt ihren Zerstörer. Eines muss man Peter dem Grossen auf alle Fälle zubilligen: Unter seiner Herrschaft, von ihm veranlasst, hat sich in Russland eine Wandlung vollzogen. Seine Siege wären ohne völlige Umgestaltung des Heeres und der Verwaltung nach europäischem Muster unmöglich gewesen. In seinem Reformwerk ging Peter rücksichtslos und despotisch bis aufs äusserste vor, so dass in den letzten Jahren das durch Kriege, deren Vorbereitung und durch Zwangseinquartierungen erschöpfte Volk unter seiner Herrschaft schwer seufzte. Gerade die ärmeren Schichten murrten gegen den Erneuerer, der ihre Lebensweise erbarmungslos ändern wollte. Der Kampf gegen die alte russische Tracht, den Kaftan und den Bart, den Peter 1700 einleitete, war nur sinnbildlich für einen einschneidenden Eingriff ins tägliche Leben der Russen. Die langen Ärmel und der unpraktische Schnitt des Kaftans hatten ein beschauliches, unbewegliches Dasein geradezu zur Voraussetzung; als Peter nach der Rückkehr von seiner Reise nach Westeuropa als erstes diese Tracht abzuschaffen strebte, so beseelte ihn dabei die Absicht, aus seinen Untertanen eine werktätige Bevölkerung im Sinne einer Nation zu bilden. Der erbitterte Kampf der Gegenseite für die überlieferte Kleidung war keineswegs sinnlos: Überall in der Kulturgeschichte zeigt sich, dass die Preisgabe der einheimischen Tracht schliesslich das Aussterben der überkommenen Denkart zur Folge hatte. Es zeugt deshalb von geringem historischem Verständnis, die Verteidiger von Kaftan und Bärten ins Lächerliche zu ziehen. Die altrussische Kleidung war für sie ein wirksames Symbol der Orthodoxie. Peter anderseits würde man Unrecht tun, wollte man sein Vorgehen an heutigen Massstäben messen. Als Mensch des 17. Jahrhunderts hatte er keinen Sinn für das Organische in der geschichtlichen Entwicklung. Wer sich seinem Willen entgegenstellte, den zerschmetterte er. Die orthodoxe Kirche, den stärksten Wall gegen Neuerungen, schwächte er, indem er die Patriarchenwürde aufhob (1721) und durch den "Allerheiligsten Synod" ersetzte, eine Versammlung der höchsten kirchlichen Würdenträger. Seinen eigenen Sohn, Alexei, lockte er aus dem Ausland zurück, liess ihn unter nichtigen Vorwänden vor Gericht stellen und erbarmungslos hinrichten, da er Anhänger des Alten war. |